Achte auf die Achtsamkeit
von Stephanie Schönberger
in
Philosophie
Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx ist sich sicher: Die Ära der Achtsamkeit steht vor der Tür. Achtsamkeit ist ein Bewusstseinszustand, der absichtsvoll und gleichzeitig nicht wertend ist. Er birgt die große Chance zu Erkenntnissen über mich selbst und meine Umwelt zu gelangen, die mir helfen, friedlicher, freier und gelassener zu leben. Kommt diese Ära der Achtsamkeit tatsächlich, dann führt das zu einem Wertewandel, der auch unser kollektives Leben friedlicher, freier und gelassener werden lässt.
Vor über zehn Jahren hatte Horx bereits einmal recht, als er mit seiner Prognose die Weiterentwicklung von Wellness zu Selfness vorhersagte. Mit Selfness meinte er ein umfassenderes, also nicht nur körperliches Verständnis von Wohlbefinden. Und genau das spiegelt sich im heutigen Yoga-Boom wider.
Achtsamkeit, die Essenz der Yoga-Praxis
Die Achtsamkeit, als angewandte Übungspraxis, nimmt nur wahr, ohne das Wahrgenommene zu beurteilen. Was bedeutet, dass alles erstmal(s) so sein darf, wie es gerade ist.
Achtsamkeit hat aber auch mit Achtung zu tun. Mit der Wertschätzung für etwas, das als kostbar, besonders, schützens- und verehrenswert, eben als wertvoll betrachtet wird. Man hat Achtung vor Ritualen, Sitten, Bitten, Vorschriften, Bräuchen, Gesetzen, Leistungen. Idealerweise achtet man auch andere Menschen, das Leben und die Natur in ihrer Gesamtheit, weil man sich ihrer Einzigartigkeit bewusst ist. Horx bringt es auf den Punkt: „Achtsamkeit führt zu einem bewussteren Umgang mit der Umwelt und den eigenen Befindlichkeiten.“
Der Weg zur Achtsamkeit
Der Weg zur Achtsamkeit ist schon im Yoga Sutra von Patanjali vorgezeichnet. Auch wenn Patanjali das Wort so nicht benutzt, so führt er einen doch mit seinem achtgliedrigen Pfad (Ashtanga) genau dorthin. Achtsamkeit ist notwendig, um einen ruhigen, klaren Geist zu bekommen, der wiederum nicht nur Voraussetzung für die Einheitserfahrung , sondern auch für ein bewusstes, von Anhaftungen freies Handeln ist.
Die Yamas und Niyamas sind die ersten beiden der acht Glieder (ashtanga), die Patanjali auf dem Weg zum angestrebten Samadhi-Zustand nennt. Den Verhaltenskodex der Yamas und Niyamas einzuhalten, bedeutet aber, auch wenn wir das Wort meist nicht gerne hören, Disziplin. Disziplin im Umgang mit der Welt, in der wir leben und mit uns selbst. Es ist keine kasteiende, zwanghafte Disziplin, sondern eine wohlwollende, weil wertschätzende und darum sehr bewusste und achtsame Disziplin. Yamas und Niyamas sind darum auch wunderschöne Übungen, mit denen wir Achtsamkeit und damit auch Yoga zu jeder Zeit im Alltag üben können –ohne dafür auf einer Matte oder in stiller Meditation sitzen zu müssen.
Yama - Verhalten gegenüber seiner Umwelt
Üben wir uns in der Disziplin der Yamas, lassen wir unser Wohlwollen und unsere Achtsamkeit anderen Menschen, sowie der Natur und allen Wesen, die sie beleben, zukommen. Unser oberstes Vorhaben ist dann, ihnen weder Schaden zuzufügen, noch Leid anzutun. Weder in Gedanken, noch in Worten und erst recht nicht mit Taten. Ahimsa heißt in Sanskrit "die Abwesenheit von Gewalt". Ahimsa setzt voraus, sich in andere hineinversetzen zu können. Patanjali nennt das im Sutra 1.33 Karuna, das Mitgefühl, die Empathie. Ahimsa bedeutet auch, sich der Konsequenzen seiner Handlungen bewusst zu sein. Wer Gewalt in welcher Form auch immer ausübt, fügt sie auch immer sich selbst zu. Und wer der Umwelt schadet, zum Beispiel mit Flügen zu weit entlegenen Retreats (ich weiß, ein sehr unpopuläres Beispiel), schadet damit auch immer seinem eigenen Lebensraum und unter Umständen auch dem der nachfolgenden Generationen.
Aus der Idee von Ahimsa entwickeln sich alle vier weiteren Yamas. Wir versuchen die Wahrheit (Satya) zu sagen, sofern diese ein anderes Wesen nicht verletzt oder ihr schadet. Wir verzichten auf die kleinen Notlügen, geben keine Versprechen, die wir nicht halten, verbreiten keine Gerüchte, weil wir deren Wurzeln und Wahrheitsgehalt nicht kennen. Wir versuchen also unser Leben so zu führen und einzurichten, dass wir aufrichtig bleiben können.
Wir stehlen nicht (Asteya) was anderen gehört, auch nicht ihre Ideen, sondern begnügen uns mit dem, was uns gehört und das wir auf Grund unserer Fähigkeiten erreichen und erhalten können. Wir belästigen niemanden, weder durch Blicke, Gesten, Sätze, Bilder noch Taten, weil wir im Bewusstsein der Allseele, des Brahman, handeln (Brahmacharya) und in jedem Wesen das Göttliche sehen. Wir behalten nicht mehr, als wir brauchen und horten nichts an (Aparigraha), weil das zu Anhaftungen und Leid führt.
Niyama - Verhalten gegenüber uns selbst
Üben wir uns in den fünf Niyamas, dann schenken wir das Wohlwollen und die Wertschätzung uns selbst. Und wenn wir uns und unser Verhalten kennen und wohlwollend damit umgehen können, dann können wir auch unserer Umwelt verständnisvoller und achtsamer begegnen. Darum versuchen wir mit uns im Reinen zu sein, uns rein zu halten (Sauca). Auf körperlicher, aber auch auf mentaler Ebene. Wir versuchen dazu Dinge, Tätigkeiten und Lebensbereiche, die nicht zusammengehören, nicht zu vermischen. Wir überlegen uns, mit welchen Personen, Texten, Filmen wir uns beschäftigen und von wem oder was wir unser System lieber rein halten sollten. Wir üben uns auch in Zufriedenheit (Santosha) mit dem was wir haben. Und wir bleiben an den Sachen und Vorhaben, die wir uns vornehmen und am Herzen liegen dran (Tapas), achten aber gleichzeitig sehr genau darauf, dass unsere Leidenschaft nicht zur Obsession wird (das gilt auch für unsere eigene Yoga-Praxis). Dabei hilft uns das Selbststudium (Svadyaya) und auch das Studium von Weisheitstexten, die uns helfen, unser wahres Selbst zu erkennen. Und wir verzagen nicht, wenn das Leben manchmal nicht so läuft, wie wir das möchten, weil wir wissen, dass nicht alles in unserer Hand liegt, dass es etwas Größeres gibt, dem wir (uns an)vertrauen können (Ishvara Pranidhana).
Eine neue Energie
Versuchen wir, die Yamas und Niyamas in unser Leben tatsächlich zu integrieren, üben wir uns in Achtsamkeit. Und die Achtsamkeitspraxis, sagt der Großmeister der Achtsamkeitsmeditation Jon Kabat-Zinn, zeichnet sich aus durch „die Energie der Neugier, des Wissensdrangs, der Offenheit, der Aufgeschlossenheit, des Engagements für das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrung“. Lasst uns doch unser Verständnis von Yoga durch diese Energie beflügeln und damit die neue Ära im Sinne von Horx einleiten. Klingt das nicht nach einem super Trend fürs ganze Leben?
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