Wie können wir besser mit der Corona-Zeit umgehen - auf Yoga-Art?
von Stephanie Schönberger in Inspiration

Während die Gesellschaft sich spaltet und streitet, stellen wir die Frage: Wie geht es besser? Welche Antworten Yoga anbietet, bespricht hier Stephanie Schönberger.

Pünktlich zu Weihnachten gingen die Lichter wieder aus. Damit die stille Nacht auch wirklich einmal Ruhe hat und keine Raketenschüsse das neue Jahr aufschrecken. Himmlische Ruh. Einsame Nacht. Keiner lacht. Und Ochs und Esel fragen sich landauf, landab: „Wie konnte das nur passieren?“

Gute Frage. Auf die vermutlich jeder eine andere Antwort und eine eigene Meinung hat. Oft profund, oft absurd. Manchmal erhellend, manchmal erschreckend. Selten versöhnlich, hat man den Eindruck nach neun Monaten Corona-Dominanz.

Dafür weinen jetzt alle über die Spaltung der Gesellschaft. Schuld daran hat, klar, natürlich immer nur die andere Seite. Das Schlafschaf und der Aluhut. Der Unerwachte und der Querdenker. Die Angsthasen und die Rücksichtslosen. Die unfähigen Politiker und die durchgeknallten Qanonen.

Wenn Licht und Liebe nur der eigenen Gruppe geschenkt wird, bleibt es ziemlich duster.

So wird das aber nichts mit dem Frieden für alle Wesen in allen Welten. Lokah. Samastah. Sukhino. Bhavantu. Das chantete man ja ganz gerne mal in guten Zeiten. Ach ja, wisst ihr noch: We are one?

Aber wenn Licht und Liebe nur der eigenen Peergroup geschenkt wird, dann bleibt es doch in weiten Teilen der Menschheit ziemlich dunkelduster. Da hilft kein OM und auch kein Shanti.

Yoga gibt uns alle Mittel, um über diesem Wirrwarr zu stehen.

Dabei hätten gerade wir Yoga-Begeisterte doch alle Mittel in der Hand, aus diesem irren Gegeneinander, aus dieser kräfteraubenden Rechthaberei letztlich aus unserer Unwissenheit auszusteigen.

Dafür braucht es keinen dreifachen Sonnengruß mit Handstandüberschlag, sondern nur einen Blick in Texte wie die Upanishaden, die Bhagavad Gita oder das Yoga Sutra – und dann auf sich selbst. Und zwar satya, wahrhaftig.

Dann könnte uns auffallen, dass wir neben der Corona- auch eine fette Klesha-Krise haben. 

Die 5 Kleshas führen uns in eine egozentrische Sichtweise: hinein in ein Freund-Feind-Schema.

Die fünf Kleshas Avidya (Unwissenheit), Asmita (Ich-Bezogenheit), Raga (Verlangen), Dvesa (Ablehnung) und Abhinivesa (Angst/Lebenswille) werden handelsüblich Störkräfte genannt, weil sie uns auf dem Weg zur atman- oder inneren Friedenserfahrung ordentlich im Weg stehen. Denn sie haben eine unangenehme Eigenschaft: 

Sie lassen uns glauben, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein – obwohl wir auf dem Holzweg sind.

Daraus entwickelt sich dann eine sehr egozentrische Sichtweise auf die Welt, die wir in ein schlichtes Freund-Feind-Schema einteilen.

Was gut oder schlecht ist, hängt davon ab, welche Erfahrungen (samskaras) wir im Laufe unseres Lebens (und wer mag, auch der davor) gemacht haben. Das Schlechte wollen wir schnellstmöglich loswerden, weil wir Angst haben, dass es sonst wie Pech an uns hängen bleibt. Das Gute wollen wir unbedingt behalten, weil wir uns vor dem Verlustschmerz fürchten.

Warum sonst weinen wir unseren Yoga-Festivals, Kirtans, dem Community-Feeling in den Studios, dem Leben, wie wir es kannten, so hinterher und lehnen uns gegen die Gebote und Verbote der Stunde widerborstigst auf? 

Ganz ehrlich, das ist auch eine Form der Angst: Angst vor Veränderung, vor Verlust, dem Ende der guten Zeiten, die wir hatten. Und dessen sollten wir uns bewusst sein – bevor wir anderen Angst vorwerfen, wenn sie Sicherheitsmaßnahmen befürworten. 

Aber, Freunde der Wahrheit, das Wesen des Lebens  ist nun mal Veränderung. Alles kommt, ist da, vergeht wieder. Bevor das Spiel von Neuem beginnt. Alles ist OM.

Aus Akzeptanz der Veränderung kann die Erfahrung von Freiheit entstehen.

Wir können uns hinstellen wie tyrannische Teenager und lautstark krakeelen: „Alle böse, besonders Mutti. Ich will mein altes Leben zurück!“ Oder wir akzeptieren, dass nichts bleibt, wie es ist. So traurig, schmerzhaft, leidvoll und frustrierend das auch oft ist. Aber aus der Akzeptanz kann die Erfahrung von Freiheit entstehen.

Yoga zeigt uns einen Weg, mit dieser Zeit klarzukommen: Gewaltfreiheit, ahimsa.

Und darum können wir in diesen herausfordernden Zeiten froh sein, dass wir Yoga für uns entdeckt haben. Weil Yoga uns einen erfolgversprechenden Weg zeigt, wie wir besser mit den Veränderungen der Welt und unserem Leben klarkommen.

Asanas sind eine Methode auf dem Weg, aber nicht die ausschlaggebende. Spielentscheidender ist unsere innere Haltung, allen voran unsere Fähigkeit, gewaltfrei (ahimsa) über andere zu denken, über sie und mit ihnen zu sprechen und zu handeln.

Oberste Priorität im Yoga: Ahimsa, die Gewaltfreiheit.

Für jede und jeden, die oder der sich ernsthaft Yoga-Praktizierende/r nennt, hat ahimsa allerhöchste Priorität. Da sind die alten Weisheitstexte glasklar und unerbittlich. 

Es gelten keine Ausnahmen, zu keinen Zeiten, an keinen Orten, heißt es beispielsweise im Kommentar zum Yoga Sutra 2.30. Also egal, ob man Heiler,  Krieger, Händler, Vater, Mutter, Kind, Tierbesitzer, Maskenbefürworter oder Coronaleugner ist. Zero tolerance für Gewalttätigkeit. 

Aber was, wenn Gewaltfreiheit schwerfällt, weil die Gräben zwischen uns so tief sind?

Natürlich ist das schwer, machen wir uns nichts vor. Ganz besonders jetzt, in  diesem Corona-Irrsinn. Weil man, egal wo man steht, mit Meinungen und Verhaltensweisen konfrontiert wird, die zu Gedanken führen können,  von denen „Spinnst du?“ beinahe liebevoll ist. 

Aber wer sagt, dass Yoga ein Ponyhof ist? Denn den Frieden, den wir im Außen suchen, müssen wir (so anstrengend das auch ist) erstmal in uns selbst finden – in der Konfrontation mit und nicht in der Flucht vor sich selbst.

Ahimsa also. Wer sich nicht daran halten kann, beziehungsweise nicht mal versuchen möchte, sich daran zu halten, sollte sich Bodenturner, Gospelsänger, Lichtarbeiter, Atemtrainer, Leggingsträger, Konzentrationsberater nennen. Aber nicht Yogi oder Yogini.

Glücklicherweise geben uns die Texte ein paar gute und erprobte Tipps, wie das mit der Gewaltfreiheit gelingen kann. Nämlich indem wir:

  • überlegen, welche Konsequenzen unser Handeln für andere und deren Leben haben könnte. 
  • Mitgefühl für die Sorgen anderer entwickeln und
  • Gleichmut gegenüber dem schwer nachvollziehbaren Denken einiger.
  • versuchen, nicht zu lügen und zu stehlen. Dazu zählt das Verbreiten von „Wahrheiten“ aus zweifelhaften Quellen und das Stehlen von Lebenszeit.
  • rein halten von allem, was uns körperlich, geistig und emotional anhaltend aus dem Gleichgewicht wirft. Wie momentan unnötige energieraubende Diskussionen und soziale Kontakte.
  • lernen, zufrieden zu sein mit dem, was wir haben. Zum Beispiel keine Diktatur.
  • akzeptieren zu können, was ist. Nämlich eine Situation, in der niemand von uns auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann, wie man gut mit ihr umgeht.
  • uns regelmäßig selbst reflektieren, alte Weisheitstexte lesen und alles, was wir tun, zu einer Hingabe an etwas größeres als unser kleines Ego werden zu lassen.

Auch das ist Yoga: Abstriche machen für andere.

Das ist Bhakti Yoga und Karma Yoga: uneigennütziges Handeln zum Wohle anderer.

Was wir tun, wenn wir unsere sozialen Kontakte freiwillig reduzieren. Wenn wir einen Schritt zurücktreten, statt als erste an der Kasse zu stehen. Wenn wir nachgeben, um eine drohende Eskalation zu entschärfen – weil wir lieber friedlich sind, statt Recht haben zu wollen. Wenn wir die Energie der Wut und des Ärgers, die wir auf Covid und die Welt haben, mutig annehmen. Und sie als Kraft verwenden, die uns nach innen führt - um uns mit unseren Sorgen, Ängsten, Wünschen und Hoffnungen auseinanderzusetzen. Aus Selbstfürsorge sowie Ehrfurcht und Liebe zu einem friedlichen höchsten Bewusstsein. Das übrigens in jedem von uns ist.

 

Yoga inspiriert uns zur Rücksichtnahme: Als Gabe an die Gesellschaft.

Karma- und Bhakti Yoga entspricht übrigens ein bisschen der Idee der „Gabe“ in der Psychologie. Eine Gabe erwartet im Gegensatz zum Tausch keine Gegenleistung und kann die Wahrnehmung, das Denken und Empfinden der Gebenden und der Nehmenden nachhaltig verändern.

Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth hat dazu gerade auf Spiegel Online geschrieben, dass das „Opfer der eigenen Bewegungsfreiheit, der Selbstisolierung (…) eine solche freiwillige Gabe an die Gemeinschaft dar[stellt]“. Wenn sich „jede und jeder Einzelne verantwortlich für alle Anderen fühlt -  ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten“, dann zahle sich das am Ende für jeden Einzelnen aus, zum Beispiel durch sinkende Infektionszahlen.

Und je besser und anhaltender es gelingt, die Infektionszahlen zu senken, desto früher können wir wieder bewegungsfreier leben, unseren Berufen nachgehen, unsere Studios wieder aufmachen, Festivals, Konzerte und Kirtans besuchen, in Kneipen und Bars abhängen, nächtelang in Clubs tanzen. Kinder können wieder in die Kitas und Schulen. Die Wirtschaft kann sich erholen.

Wir haben die Wahl: Weitermachen wie bisher - oder mit Mitgefühl und Rücksicht durch die Pandemie gehen.

Wohin, liebe Shanti-Schwestern und -Brüder, soll die Reise also gehen? Wollen wir zumindest versuchen, uns wie Yogis zu verhalten – oder Gefangene unserer Kleshas bleiben?

Wir können jetzt weitermachen wie bisher: Die Spirale aus Vorurteilen, Misstrauen, Argwohn, Wut, Enttäuschung, Regelverstößen (und wenn die Regeln noch so unsinnig erscheinen) weiter mit Gewalt hochjagen, eventuell parallel verlaufend zu den Infektionszahlen. In den ewigen Lockdown laufen. Auch innerlich. Bis wir ausgebrannt sind. Auf allen Ebenen. Wir Menschen können furchtbar sein. 

Wir können aber auch großartig sein - wenn wir uns an unsere zutiefst friedlichen, humanistischen Eigenschaften erinnern. An das Mitgefühl. An die Fähigkeit, zu verzeihen und über uns hinauszuwachsen. An die ethische Verantwortung, das Dharma, die wir als Teil einer Gesellschaft haben. An das gute Gefühl, solidarisch zu handeln. Wie können großmütig statt kleingeistig sein - und körperliche Distanz auch als Zeichen der Verbundenheit verstehen.

Wäre es nicht das beste Weihnachtsgeschenk an uns alle, wenn es uns gelingen würde, mit Rücksicht, Freundlichkeit  und Anstand durch die Pandemie zu gehen? Gemeinsam für all die vielen Menschen weltweit, die jetzt unter Corona zu leiden haben?

Dann würde es auch endlich wieder stimmen, wenn wir sagen: We are one!

Mögen wir nur hören, was für alle gut ist.
Mögen wir nur sehen, was für alle gut ist.
Mögen wir dienen, Herr der Liebe, unser  Leben lang.
Mögen wir verwendet werden, deinen Frieden auf Erden zu verbreiten.
OM shanti, shanti, shanti. 

(Prashna Upanishad)

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Stephanie Schönberger

Stephanie Schönberger ist Yogalehrerin, Autorin und Historikerin. Sie schreibt unter anderem für Magazine wie Yoga Aktuell oder Yoga Journal. Ihr Yoga-Studio befindet sich in Kaufbeuren, Bayern. Hier findest Du den Weg zu Stephanie: 8sam-yoga.de

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Kommentare 

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Anja

Liebe Stephanie, Danke für diesen sehr guten Beitrag. Die Philosophie des Yoga ist gerade jetzt eine so große Hilfe. Du sprichst mir aus der Seele. Ich habe selbst auch ein Yoga-Studio. Meine Familie und Bekannten wundern sich immer, wie "relativ" gelassen ich mit der Situation umgehe. Seit 2 Wochen unterrichte ich nun online und es ist in Ordnung.
Liebe Anja

Verfasst am 26.12.2020 um 15:18

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