Pranayama: Atme Yogi, atme!
von Philipp (Redaktion)
in
Praxis
Kennst Du das? Du erschrickst und hältst ganz plötzlich den Atem an. Oder Du bist gestresst und merkst, wie Du flach und unregelmäßig atmest. Wie die Atmung mit unserem Bewusstsein zusammenhängt und was Pranayama ist, darüber liest Du in diesem Artikel.
Wenn Du in der eingangs beschriebenen Situation mal tief ein und mit einem hörbaren Seufzer lange ausatmest, dann fällt ein Teil des Drucks von Dir ab und Du entspannst Dich wieder.Probiere das jetzt gleich mal aus. Tief einatmen und dann ganz entspannt lange ausatmen. Na? Wie fühlt sich das an?
Pranayama: Zusammenhang von Atem und Stimmung
Es gibt einen Zusammenhang zwischen unserer Atmung und unserer Stimmung. Bist Du nervös oder ängstlich, ist Deine Atmung flach und unregelmäßig. Bist Du entspannt und rundum zufrieden, ist Dein Atem ruhig und gleichmäßig. Genau dieses Prinzip machen wir uns beim Pranayama zunutze. Wir verwenden den Atem, um Einfluss auf unsere Stimmung zu nehmen. Doch was geschieht dabei genau? Wie ist der Atem mit unserem Gemütszustand verbunden? Das Bindeglied zwischen den beiden ist Prana. Prana ist jene geheimnisvolle Kraft, die uns am Leben hält oder wie B.K.S. Iyengar es einmal ausdrückte: "Prana ist der Lebenshauch aller Wesen im Universum". Das Phänomen Prana wird übrigens nicht nur von den Yogis anerkannt. Auch die traditionelle chinesische Medizin arbeitet damit und nennt es Qi.
Atemübung 2:
Hier eine kleine Übung, um Dein Prana zu spüren und es Dir bewusster zu machen: Setze Dich hin und atme alle Luft aus. Dann warte so lange, bis der Atemreflex von alleine einsetzt - bleibe also passiv und "lasse Dich atmen". Dieser Impuls, dieser Drang zu atmen und zu leben, das ist Prana. Aber auch der Atem selbst ist Prana. Alle Schwingungsenergie ist Prana. Sowohl geistige als auch spirituelle und physikalische Energien sind alles Formen von Prana. Prana ist die universelle Energie, die alles durchströmt und ohne die kein Leben möglich wäre.
Pranayama = Atemübungen?
Oft wird Pranayama mit Atemtechnik gleich gesetzt. Das trifft es jedoch nicht ganz. Ja, der Atem wird kontrolliert und gelenkt, aber der Atem ist hier letztlich nur Mittel zum Zweck. Yama bedeutet in etwa ausdehnen, verlängern und kontrollieren. Pranayama ist somit eine Kunst, die aus verschiedenen Atemtechniken besteht und zum Ziel hat, den Menschen von energetischen Blockaden in Körper und Geist zu reinigen. Ist das erreicht, kann Prana frei und gleichmäßig entlang der Nadis (Energiebahnen, ähnlich den Meridianen) fließen und der Mensch erblüht in voller Gesundheit - sowohl auf der körperlichen als auch auf der emotionalen und mentalen Eben. Wir arbeiten also mit der Atmung, um auf den Fluss von Prana einzuwirken. Dass nebenbei auch noch die Lungenmuskulatur trainiert und das Lungenvolumen vergrößert wird, ist ein sehr praktischer Nebeneffekt, den Du spürst, wenn Du im 5. Stock wohnst oder morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährst. Der Atem ist nicht nur deshalb faszinierend, weil er mit unserem Befinden verknüpft ist und uns am Leben hält. Er ist auch eine Körperfunktion mit einer ganz besonderen Eigenschaft: er wird entweder von unserem Nervensystem automatisch geregelt oder aber wir steuern ihn bewusst. Was das wirklich bedeutet wird in folgender Übung klarer.
Atemübung 3:
Wie Du Einfluss auf Deinen Atem nimmst, weißt Du, auch, wie der Atem von alleine fließt - zumindest ist Dir das irgendwie klar, denn schließlich hast Du bislang noch nie vergessen zu atmen. Versuche jetzt mal, Deinen Atem zu beobachten ohne auch nur den geringsten Einfluss auf ihn zu nehmen. Und? Gar nicht so einfach, oder? Ich finde sogar, dass dies eine der schwersten Yoga-Übungen überhaupt ist.
Die vier Atemphasen:
Wenn wir uns den Atem nun genauer anschauen, erkennen wir, dass er vier Phasen kennt: das Einatmen (puraka), das Ausatmen (rechaka) und das Anhalten des Atems (kumbhaka), welches sowohl bei vollem Atem (antara kumbhaka) als auch bei leerem Atem (bahya kumbhaka) geübt werden kann. Diese vier Phasen haben unterschiedliche Wirkungen auf Geist und Körper. So nimmst Du beim Einatmen frische Energie auf. Die Wirkung ist belebend und der gesamte Organismus wird angeregt. Hältst Du den vollen Atem an, dann kann die aufgenommene Energie in Deinen Organismus eindringen, was stabilisierend wirkt. Die Ausatmung wird von einem eintretenden Gefühl der Ruhe und Entspannung begleitet. Du lässt damit alles Alte und Verbrauchte aus Dir herausfließen. Das Halten der luftleeren Lungen ist ein ganz besonderer Moment. Beim geübten Yogi stellt sich ein Gefühl von Verschmelzen und Hingabe ein. Die alten Yogis hätten vielleicht gesagt, es ist jener Moment, indem sich das niedere Selbst (Ego) im höheren Selbst Atman auflöst. Wenn Dir das zu kompliziert und spirituell klingt, dann genieße diesen Moment einfach und benenne ihn am besten gar nicht.
Wie übe ich Pranayama richtig?
Zum Schluss wollen wir Dir noch ein paar praktische Tipps zum Üben von Pranayama mit auf den Weg geben.
- Beginne mit einfachen Pranayamas.
- Bevor Du beginnst entspanne Dich. Welche Entspannungsübungen Du nimmst, bleibt ganz Dir überlassen. Ein paar einfache Asanas helfen auch. Ich persönlich habe mir angewöhnt vorher den ganzen Körper mit Schütteln zu lockern.
- Übe regelmäßig und als AnfängerIn nur 5 bis 10 Minuten am Stück und steigere Dich mit der Zeit.
- Je entspannter Du übst, desto mehr wirst Du wahrnehmen!
- Pranayama sollte zu jederzeit mühelos und mit einer entspannten Leichtigkeit ausgeführt werden. Den Atem anhalten solltest Du als AnfängerIn nur für wenige Sekunden, das reicht, um den Effekt zu spüren. Roter Kopf und Schwindelgefühle haben beim Üben von Pranayama nichts verloren und sind ein Zeichen dafür, dass Du Deine Grenzen überschreitest.
- Trainiere Deine Wahrnehmung. Wenn Du am Anfang da sitzt und denkst, dass sich da nicht viel tut, außer dass sich Deine Bauchdecke hebt und senkt, dann geht es Dir wie vielen anderen auch. Deine Wahrnehmung ist bislang in erster Linie darauf trainiert Dinge in der äußeren Welt blitzschnell zu erfassen. Die äußere Welt jedoch ist grobstofflich, laut und oft sehr schnell. Zum Glück kann Deine Wahrnehmung mit ihr umgehen, denn sonst wärest Du ein echtes Sicherheitsrisiko - zum Beispiel im Straßenverkehr. Beim Pranayama tauchen wir in die innere Welt ab. Bevor wir feinstoffliche Phänomene wie Prana überhaupt richtig spüren können, müssen wir zuerst unsere Wahrnehmung schulen. Mit unserer äußeren und inneren Welt verhält es sich ein bisschen wie mit der Erdoberfläche und den Ozeanen. Auf der Oberfläche waren wir schon überall, aber die Tiefen der Ozeane sind noch relativ unbekannt. Um sie zu erkunden, mussten wir erst Fahrzeuge bauen, die sich unter Wasser bewegen können. Genauso müssen wir unsere Wahrnehmung erst schulen, bevor wir in die feinstoffliche Welt des Prana abtauchen können. Deine Wahrnehmung schulst Du am besten auf folgendem Weg:
Wenn Du Dich hinsetzt, konzentriere Dich zunächst nur auf die vergleichsweise groben Bewegungen Deines physischen Körpers, also die Bauchdecke und das Heben und Senken des Brustkorbes und Dein Gewicht am Boden. Spüre alles ganz genau. Lass nicht zu, dass auch nur ein Milli-Prozent Deiner Aufmerksamkeit woanders ist.
Dann werde in Deiner Wahrnehmung feiner und konzentriere Dich auf den Luftstrom, wie er über Deine Nase, entlang des Rachens bis in die Lungen strömt.
Zum Schluss werde noch feiner und versuche wahrzunehmen, wie sich das jeweils angewendete Pranayama auf Deinen energetischen, emotionalen und mentalen Körper auswirkt.
Ich wünsche Dir viel Freude beim Entdecken von Pranayama und möchte mit einem Satz aus der Hatha Yoga Pradipika schließen: "So lange der Atem im Körper wohnt, ist Leben da. Schwindet der Atem, so schwindet das Leben. Daher lenke deinen Atem." Oder mit anderen Worten: Atme Yogi, atme!
Liebe Grüße,
Philipp
Update:
Inzwischen ist ein komplettes Pranayama-Programm mit Britta Kimpel bei uns erschienen. Britta ist eine ausgewiesene Expertin für diese yogische Technik und im Kurs zeigt sie Dir viele Techniken und übt mit Dir gemeinsam.
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