Was hat Tantra mit Sex zu tun?
von Renate Heiss
in
Philosophie
Das Wort Tantra wird häufig mit sexuellen Praktiken in Verbindung gebracht. Aber was beudetet Tantra? Und wie viel hat Tantra wirklich mit Sex zu tun? Hier erfährst Du mehr.
“Warst Du schon mal auf ‘nem Tantra-Workshop?”
Diese Frage höre ich öfters. Auch in der Paartherapie begegnet mir das Wort “Tantra”, wenn ein Paar über das Lösen seiner sexuellen Probleme spricht.
Der Begriff Tantra ist sexy geworden durch Sextherapie und “Gurus”, seit den Hippie-und Osho-Zeiten, mit augenscheinlich wachsender Beliebtheit.
Dabei bedeutet das Wort: Tan (Erweiterung) und Tra (Methode oder Gerät/Werkzeug). Somit wäre Tantra ein “Werkzeug für Erweiterung”, bzw. Die Lehre vom Tantra, das Wissen um die Technologie, wie Bewußtsein erweitert werden kann. Als Tradition ist das Tantra sehr alt und meiner Einschätzung nach eine mystische Tradition, da es um direkte Erfahrung und direkte Weitergabe dieses Wissens, meist an ausgewählte Schüler geht.
Tan bedeutet Erweiterung und Tra Methode. Somit ist Tantra “Werkzeug für Erweiterung”
Erst im letzten halben Jahrhundert kam Tantra immer mehr ins Licht der Allgemeinheit, was natürlich auch zum Teil zu einer Verballhornung führte, oder Akzentverschiebung in Richtung Sexualität und hier die Suche nach der ultimativen Orgasmischen Erfahrung.
Dies ist in den ursprünglichen Texten nicht der Fall, wenngleich aufgrund der Inklusivität der Lehre auch Sexualität und definitiv Ekstase einen respektierten Platz hat - ganz im Gegensatz zu den prüden Ansichten, die es in der Westlichen Welt gab.
Ein im internet aktivier Yogalehrer, Sadguru sagt dazu: “Du brauchst nicht schnaufen und keuchen, um in einen orgasmischen Zustand zu kommen. Wenn Du mit geschlossenen Augen dasitzt, kannst Du in jeder Zelle Deines Körpers vor Orgasmen triefen.” Was er damit meint ist, dass Ekstase und Orgasmus in der Tiefe spirituelle Erfahrungen sind. Die Erfahrung von Einheit.
Und genau darum geht es im Tantra: Die Erweiterung des Bewußtseins in die universelle Einheit hinein, jenseits von Gegensätzlichkeit.
Christopher Wallis, Autor des umfassenden Buches “Tantra Illuminated” sagt: Du bewegst Dich von der Sicht: “I am only this body” zur Erfahrung: “I am divine consciousness”.
Somit ist die Tantrische Erfahrung eine Erfahrung von Eins-Sein mit allem und allen, wo Grenzen nicht mehr spürbar sind, Bewertungen, Gegensätze wegfallen, eine neue, große Perspektive Raum einnimmt und zwar als verkörperte Erfahrung, nicht nur als Idee:
“In Tantra we seek not just to know wisdom but to fully embody it.” (Ch. Wallis)
Du fliegst über Dich selbst hinaus in Dich selbst hinein in Ekstase, Freude, Freiheit, Ruhe und Verbundenheit.
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Was sind tantrische Übungen? Sind sie sexuell? Nein, nicht per se.
Der tiefe Blick in die Augen meines Gegenübers oder Berührung der Hände macht aber natürlich etwas. Intensität, Präsenz, Gefühle, Nähe, Anziehung, aber auch das Gegenteil kann vorkommen. Gemeinsam da durch gehen, als Meditation, in der eine Verschmelzung mit dem anderen durch die Erfahrung von all-umfassender Einheit geschehen kann.
Meist geschieht dies nicht direkt, sondern stößt direkt auf Widerstände. Diese sind psychologisch gesehen sehr interessant, und ich begleite meine Klienten darin, diese kennenzulernen und sie zu überwinden.
Tantra ist Technologie, Übungs-Tool, sich selbst in der Einheit von allem zu erkennen, inmitten der Gegensätze.
Philosophisch-psychologisch gesehen liegt das Tantra als Unterboden unter dem Yoga, wie eine rutschfeste Yogamatte, die aber auch flexibel ist und einen weiten Interpretationsspielraum lässt. Tantra heißt sehen, riechen, hören, fühlen, schmecken, mit allen Sinnen, wach und präsent.
Es ist eine Achtsamkeitsschulung und Energie-Lenkung, die vor allem mit einem Gegenüber zum Anschauen und Erfahren, Erspüren, Präsenz-Halten und auch Ermahnen, wenn die Konzentration nachlässt, dienen kann.
Der andere wird zum Spiegel, zur Projektionsfläche, gibt Halt, oder auch nicht, zur Reaktionsfläche, zum Übungsobjekt, zum Kanal, das grosse Universum zu sehen und zu erfahren und Dich mit der immer vorhandenen Energie zu vereinen.
Das ist die Essenz des Non-Dualismuses. Wer ihn erfährt und lebt, ist im Frieden.
Tantra ist an sich neutral, es inkludiert alles und exkludiert nichts.
Folglich ist Genuss auch dabei, Askese ebenso, aber nicht nur. Sex ist dabei, aber ohne Hype, ohne Verdammnis, Schuld oder Drama.
Es gibt Gut und Böse im Tantra so nicht, wie wir das im Alltag verwenden. Denn Tantra verzichtet auf Bewertung, so wie die Achtsamkeit.
Mit Hilfe der Beobachtung und Präsenz kommst Du in das von Rumi, einem Sufi Mystiker beschriebene Feld: “Jenseits von Richtig und Falsch ist ein Feld, da will ich mich mit dir treffen.”
So wie ich Tantra vermittle, ist es eine Erfahrungsform, die den oder die einzelne dazu befähigen kann, sich selbst tief zu begegnen, auch dem anderen und damit dem großen Mysteriums des Seins.
Tantra heisst: Liebe erfahren, sich des großen Energie-Potentials bewusst sein, das in Dir ist.
Du fliegst über Dich selbst hinaus in dich selbst hinein in Ekstase, Freude, Freiheit, Ruhe und Verbundenheit.
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