Wie Yoga und Minimalismus zu einem glücklichen Leben inspirieren
von Elisa Kley
in
Philosophie und Inspiration
Mittlerweile ist der Kapitalismus auch in der Yogawelt angekommen und gaukelt uns vor, dass wir zur Erleuchtung nur noch diese eine Yogamatte, jene spezielle Yogaleggings, das perfekte ätherische Öl oder die schönste aller Duftlampen benötigen. Doch warum ein minimalistischer Lebensstil ganz besonders als YogiNi ein wichtiger Schritt auf dem Pfad des Yoga ist, möchte ich Dir in diesem Artikel näher bringen.
Was genau verstehen wir eigentlich unter Minimalismus?
Von Kunst zu Musik über die Architektur bis hin zum Lebensstil – den Begriff des Minimalismus finden wir in vielen und unterschiedlichen Themenbereichen. Doch was steckt eigentlich dahinter, ab wann darf ich mich eine MinimalistIn nennen und welche Anforderungen gilt es zu erfüllen?
Für den Einen beginnt Minimalismus beim jährlichen Frühjahrsputz und dem regelmäßigen Ausmisten der eigenen vier Wände, während es für den nächsten das Selbstversorger-Leben im Tiny House ist. Der Minimalismus hat viele Facetten und das ist auch okay so. Denn was alle Themenbereiche miteinander verbindet, ist der Kerngedanke hinter der Idee des einfachen Lebens: Die Hoffnung, dass wir mit weniger Besitztum glücklicher und zufriedener sind.
Doch was das genau ist, was Du für ein zufriedenstellendes Leben brauchst, findest Du am besten für Dich selbst heraus. Und so soll dieser Artikel kein How-To-Guide werden, in dem ich Dir erkläre, wie Du richtig ausmistest und glücklich wirst, sondern eine Inspiration, Dich selbst noch einmal mit diesem Thema und somit auch mit Dir selbst auseinanderzusetzen.
Warum sich immer mehr Menschen nach einem einfacheren Leben sehnen
Minimalismus ist für die meisten von uns schon lange kein Fremdwort mehr. Egal, ob es die schlichte weiße Möbelgarnitur ist oder der moderne Neubau aus Glas. Minimalismus verkörpert Reinheit, Schlichtheit und Modernität.
In der beliebten Netflix-Serie „Tidying Up“ erklärt uns die japanische Ordnungsberaterin Marie Kondo ihre selbst entwickelte Technik des systematischen Aufräumens. Das Tiny House findet seit einigen Jahren auch in Deutschland seinen Einzug und inspiriert Jung und Alt zu einem einfachen und reduzierten Lebensstil.
Doch warum sehnen sich so viele Menschen nach einem gut sortierten Kleiderschrank, einem kleineren Eigenheim oder dem minimalistischen Wandschrank in Weiß?
Die Antwort ist einleuchtend: Wir sind überfordert.
Wir sind überrannt und überreizt von all den Kanälen über die wir tagtäglich tausende Informationen und Reize aufnehmen, sortieren und verarbeiten müssen. Mit dem Einzug der Smartphones in unsere Hosentaschen haben wir schon seit Langem unterwegs und von überall aus Zugriff auf digitale Medien, dauerhafte Nachrichten-Kommunikation und ständige Erreichbarkeit. Egal ob Online-Shopping, Mobile-Banking oder die neueste News-App: Sie alle wollen uns dabei helfen noch besser, produktiver und glücklicher zu werden. Anders als unsere Eltern und Großeltern leben wir also im Überfluss – materiell, visuell und digital.
Brooke McAlary, Autorin und Podcasterin, schreibt in ihrem Buch „Destination simple“:
„we are overworked, overconnected and overstressed, and we compete over how busy, important and sleep-deprived we are“.
Ihre Worte fassen zusammen, was für die meisten von uns Realität ist: Wir sind überfordert und überarbeitet und scheitern an unseren eigenen Ansprüchen (an uns selbst). Wir glauben dauerhaft erreichbar sein, unsere Erfüllung im Job finden und jeder Erwartung an uns selbst gerecht werden zu müssen. Unsere Sinne sind überflutet, unsere To-Do-Listen niemals abgearbeitet und das Ergebnis niemals zufriedenstellend. All dies bekommen wir tagtäglich vor Augen geführt. Ob auf dem Weg zum Supermarkt oder im digitalen Netz.
Die Folgen dieser Geisteshaltung belegen auch die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, welches bereits im Jahr 2012 in seiner „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ steigende Fehlzeiten am Arbeitsplatz aufgrund von psychischen Störungen meldet. Dazu zählen Stress, Schlafstörungen und auch Burn-Out und Depressionen.
Doch zu dieser Entwicklung finden wir nun schon seit einigen Jahren neue Gegenbewegungen. Mit der Slow Food Bewegung, die sich in Italien in Gang setzte, der Zero-Waste Philosophie und spätestens mit der Fridays for Future Bewegung, ist den meisten von uns klar geworden: So wie bisher geht es nicht weiter. Wir gefährden unsere Gesundheit, Zufriedenheit und Zukunft. Nicht nur unsere eigene, sondern auch die unserer Kinder und Enkelkinder.
Doch wenn es so nicht weitergeht, wie dann?
Was wir aus der Yoga-Philosophie für ein minimalistisches Leben mitnehmen können
Das Interesse an Yoga steigt. Und es hat seinen Grund: Yoga mit seinen Teilaspekten wie den Körperübungen, Atemtechniken und der Meditation bietet einen Gegenpol zum Optimierungswahn und der Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft. Denn Yoga bietet nicht nur Methoden, um unseren Geist zu entschleunigen, sondern bringt eine ganze Lebensphilosophie mit, die uns als Inspiration und Wegweiser dienen kann.
In den uralten Yoga-Sutras, den Leitfäden des Yoga, beschreibt der indische Gelehrte Patanjali den achtgliedrigen Pfad des Yoga auf dem Weg zur Erleuchtung. Neben den körperorientierten Aspekten bekommen wir auch philosophische Richtlinien mit an die Hand, die uns zu einem harmonischen Leben inspirieren sollen.
Die zwei wichtigsten Punkte aus den Yoga-Sutras im Hinblick auf ein minimalistisches Leben und die Philosophie des Minimalismus habe ich Dir hier zusammengefasst:
Die Yamas:
Besonders hier, in den Leitfäden zum Umgang mit unserer Umwelt, bekommen wir explizite Auskunft in Bezug auf ein minimalistisches Konsum-Verhalten. In einem Unterpunkt der Yamas heißt es, wir sollen uns darin üben weder besitzergreifend noch anhaftend zu sein. Dieser Aspekt wird als „Aparigraha“ bezeichnet und soll uns lehren, zurückhaltend mit unserem Konsum umzugehen und mit Bedacht zu kaufen. Denn Besitztum bedeutet Verantwortung und Verpflichtung. Zum Einen verpflichten wir uns, auf die erworbenen Artikel Acht zu geben. Zum Anderen besteht die Gefahr, dass wir unsere Zufriedenheit von den Produkten abhängig machen und dadurch womöglich unsere Selbstbestimmtheit aufgeben.
Die Niyamas:
Auch in den Niyamas, den Leitlinien zum Umgang mit uns selbst, finden wir Bezug zum Minimalismus. Unter dem Begriff „Santosha“ beschreibt Patanjali die Geisteshaltung der Genügsamkeit oder auch Zufriedenheit. Indem wir weniger nach rechts und links schauen und uns weniger mit anderen vergleichen, können wir eine positive und lebensbejahende Sichtweise fördern und dadurch auch unseren Seelenzustand in Einklang bringen.
„Wer weniger besitzt, hat mehr Zeit. Konsumartikel müssen ausgesucht, gekauft, heimgebracht, aufgestellt, verwendet, sortiert, gepflegt, repariert und ersetzt werden. Verzichtet man auf Sachen, hat man mehr Zeit, Sachen zu machen, etwa sich um seine Lieben zu kümmern.“
So beschreibt es Christof Herrmann, Autor des Buches „Das Minimalismus Projekt“.
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Minimalismus und Verantwortung - wie wir unsere Selbstwirksamkeit stärken
Wie bereits erwähnt, bringen Besitztümer nicht nur Glück und Zufriedenheit mit sich, sondern auch Verantwortung und Verpflichtungen. Das Pflegen unserer Besitztümer erfordert Zeit und Muße, die wir vielleicht nicht hinein investieren wollen und können. Auch finanziell machen wir uns abhängig: die Rate für den neuen Laptop oder die Reparatur des Autos müssen bezahlt werden. Damit sind wir auch gebunden an ein festes Einkommen, das uns all dies erst möglich macht. Fällt dieser konstante Verdienst jedoch einmal weg, entstehen schnell Zukunftsängste und Stress. Mehr Verantwortung bedeutet also auch, mehr Last auf unseren Schultern tragen zu müssen.
Auf der anderen Seite bedeutet vereinfachen und ausmisten natürlich nicht gleich “gar nichts zu besitzen“. Sondern lediglich ein Bewusstsein für die materiellen Dinge und Produkte um uns herum zu kreieren, die uns wirklich dienlich sind und uns nicht nur für einen Moment zufrieden machen, sondern ein Leben lang.
Es geht darum, uns selbst besser kennenzulernen und unsere wirklichen Bedürfnisse reflektieren zu lernen. Indem wir ausmisten, aussortieren, Ordnung schaffen und aufräumen, lernen wir bewusste Entscheidungen auf Basis unseres Charakters und unserer Bedürfnisse zu treffen. Das verleiht Selbstvertrauen und innere Kraft und hilft uns zu realisieren, dass wir die Wahl haben. Und diese Wahl haben wir nicht nur bei unserer Garderobe, den Möbeln und dem Essen, das wir kaufen, sondern auch in vielen weiteren Bereichen unseres Lebens.
Ganz nebenbei beginnen wir vielleicht auch die Dinge, die wir bereits besitzen, stärker wertzuschätzen. Wenn wir uns um die Dinge kümmern und sie pflegen, drücken wir unsere Wertschätzung aus und geben den Produkten in unserem Leben mehr Sinn.
Fazit: Muss ein Yogi auch Minimalist sein?
Seinen Hausstand verkaufen und ins nächste Tiny House ziehen?! So extrem muss es dann ja gar nicht sein. Aber ein bisschen „Minimalist“ hat noch niemandem geschadet. Und selbst wenn das heißt, beim nächsten Supermarktbesuch mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren. Teste einfach mal aus, was möglich ist und was es mit Dir macht. Vielleicht gibt es ja doch viel mehr Bereiche, in denen wir auf den „Luxus“ verzichten können. Und vielleicht stellt es uns dann ja doch viel zufriedener, als wir zunächst dachten.
Am Ende geht es ja schließlich darum, wahrzunehmen, dass wir die Wahl haben. Wir können aus eigener Kraft heraus selbst entscheiden, den fünften grauen Pullover zu kaufen oder aber es sein zu lassen - und die bereits vorhandenen vier Pullis mit Dankbarkeit und Wertschätzung zu tragen. So können wir unsere eigene Autonomie in einem Maße zurückerlangen und werden ermächtigt, unser Leben selbst und bewusst zu gestalten. Denn eigentlich sind es doch die Momente und Erlebnisse die uns zufrieden stimmen und glücklich machen, statt des neuesten Smartphones.
Also schau beim nächsten Mal doch noch einmal genauer hin, bevor Du Dir etwas neu kaufst. Frage Dich vorher noch einmal, welchen Mehrwert Du wirklich bekommst. Finde genau heraus, welche Dinge Dir wirklich dienen und wie Du Dich damit fühlst. Und dann integriere mehr von diesen Momenten in Deinem Leben. Yoga kann uns auf diesem Weg unterstützen, wenn wir erkennen, dass wir Wertschätzung für uns und unser Leben nicht außerhalb, sondern IN UNS finden können.
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