Wie Bewegung unseren Atem & unser Innerstes transformiert
von Astrid Felsenreich
in
Inspiration und Praxis
Von Trauma und Atemnot zu Freiheit und Verbundenheit mit dem Körper - Astrid Felsenreich erzählt uns ihre persönliche Reise, die sie über eine Zirkusschule zu Movement Based Yoga geführt hat. Warum wir freie, explorative Bewegung brauchen, um die Wirkung von Yoga zu erfahren, erklärt sie hier.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich euch über die wichtige Rolle, die Bewegung für unsere Atmung spielt, erzählen kann, ohne wieder eine dieser theoretischen Abhandlungen vom Stapel zu lassen, die es zu hunderten gibt.
Ich habe mich dazu entschlossen, das ganz persönlich zu tun:
Mit meiner eigenen Atem-, Bewegungs-, und Yoga-Geschichte, die alles andere als einfach, natürlich und unkompliziert war.
Erste Startprobleme im Kreißsaal: Komm schon, atme!
Ich fange also mit meiner Geburt an. Mein Leben begann damit, dass mich ein hochdekorierter Professor in einer verschneiten Jänner Nacht, vom Opernball kommend mit einer Zange aus meiner Mutter herausgezogen hat.
Ich war schwer und groß, aber geatmet habe ich nicht. Man hat mich abgesaugt, geklopft, umgedreht und wieder geklopft. Und dann endlich! Sie lebt, brüllt und ATMET. Alle im Kreißsaal waren froh und erleichtert. Der Professor ging wieder tanzen. So wurde es mir immer wieder erzählt.
Das war in den 1960er Jahren - ein dramatischer und unsanfter Beginn meines Lebens.
Geblieben sind mir zwei rote Flecken an den Schläfen von der Zange - die bis heute auftauchen, wenn ich weine. Dazu chronische Spannungen im Nacken, die ich schon als Kind spürte, und ein überdurchschnittlich gewölbtes Brustbein.
Aus psychosomatischer Sicht war meine Geburt ein Schock - mit langfristigen Folgen.
Aus schulmedizinischer Sicht wurde ein gesundes Mädchen geboren.
Aus psychosomatischer Sicht war meine Geburt ein Schock, der sich als verstecktes und gut kompensiertes Atemtrauma in meinem Leben zu manifestieren begann.
Als ich klein war, hörte ich, wenn ich geschimpft wurde, auf zu atmen. Das hatte die Situationen immer schnell entschärft, weil die, die böse auf mich waren, erschraken und begannen, an mir herum zu rütteln und zu schütteln und „Atme, bitte atme doch!!“ zu rufen. Ich habe das natürlich nicht absichtlich gemacht - aber es hat in meinem Sinn gewirkt. Als ich wieder nach Luft schnappte, waren alle überglücklich und ich wurde umarmt.
Als ich in der Pubertät war, erfasste mich ein unzähmbarer Freiheits- und Bewegungsdrang. Ich war stundenlang im Wald, kletterte überall herum, hinauf, hinein und hindurch. Doch dabei bemerkte ich, dass ich immer schnell Seitenstechen bekam.
Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, war noch immer mein täglicher Begleiter.
Da entdeckte ich auf meinem Schulweg eine Akrobatik-und Zirkusschule.
Sehnsüchtig beobachtete ich durch das Fenster, was da passierte! Wunderschöne, anmutige Bewegungen auf langen Matten, Sprünge, Balance-Akte, Jonglieren und vieles mehr! Ich wollte unbedingt mitmachen und Zirkusakrobatin werden. Meine Familie fand das absurd und übertrieben. Also sparte ich so lange, bis ich die ersten 2 Semester selbst bezahlen konnte.
Die Lehrerin, eine Trapez-Künstlerin aus Bulgarien, hatte sofort ein sehr genaues Auge auf mich. Sie entdeckte und diagnostizierte schnell mein Atem-Problem und nahm mich nach ein paar Wochen bei Seite:
„Asstriied, deine Zwerkfell ist a klane, harte Brettl!! Deswegen bist du oben (sie trommelte auf mein Brustbein) wie a Luftballon. Du atmest wie varruckt aber Luft kriegst kane. So lass ich dich nix am Trapez. Fallst ma runta wie a Kartoffel. Nix Kraft, nix stabil, nix sicha!!“
Diese wunderbare Frau nahm mich unter ihre Fittiche und zeigte mir, wie bewusste Bewegung die Freiheit meiner Atmung unterstützen konnte.
Ich lernte, wie eng der Atem mit Bewegung verknüpft ist.
Als Erstes arbeitete sie mit der Mobilisierung und Stärkung meiner Rumpf-Muskulatur. Ich verstehe erst aus heutiger Sicht, was ihre Strategie war: Sie half mir, Raum und Kraft zu schaffen für die Atem-Mechanik. Meine gesamten Atem-Muskeln und -Hilfsmuskeln standen unter Dauerspannung. Ich hyperventilierte, sobald ich mich anstrengte.
Es waren Übungen, die meine Achtsamkeit dafür stärken sollten, wie Bewegung von Atmung getragen wird. Und wie eng die Effizienz einer Bewegung mit der Freiheit meiner Atmung verbunden ist.
Es war kein leichtes Training. Es erschöpfte mich, weil es mein Trauma berührte. Das Trauma, festzustecken und zu ersticken.
Nach einem Jahr hatte ich schon sehr gute Fortschritte gemacht und war viel stärker, konzentrierter und belastbarer. Ich durfte bereits Übungen am niederen Trapez machen.
Aber kurz bevor ich dann tatsächlich aufs hohe Trapez gedurft hätte, musste meine Lehrerin plötzlich zurück nach Sofia und sperrte ihr kleine Schule zu.
Die Begegnung mit dieser Akrobatin war unglaublich wichtig für mich. Sie bewirkte, dass meine nächste Begegnung - mit Yoga - meinen „Atem-Heilungsweg“ weiter führte und ich nicht schnell wieder das Interesse verlor. Immerhin war ich damals erst 15 und nicht unbedingt sehr konsequent.
Yoga beruhigte mich - doch Embodiment befreite mich.
Yoga lehrte mich die Stille und aus der Stille heraus meinen Körper sprechen zu hören. Und mein Körper begann, mir ganz viel zu erzählen. Ohne es zu wissen, begab ich mich damals auf eine Reise, die heute in aller Munde ist: EMBODIMENT.
Die Hatha Yoga Praxis, die ich lernte, war linear und statisch. Das machte mich fokussiert und ruhig. Diese Ruhe entspannte mich das erste Mal in meinem Leben rund um mein Herz, meine Lunge und entlang meines Nackens.
Meine Vorerfahrung aus der Zirkusschule brachte mich jedoch immer wieder dazu, mit Bewegung zu experimentieren.
In meinen Ohren klangen immer wieder die weisen Worte meiner bulgarischen Lehrerin:
„Wenn du nix richtig atmen kannst und auf deine zwei Füß´ net stehen und dich bewegen kannst, dann is a Bledsinn am Kopf, auf die Händ´ oder auf ein Fuß zum wackeln.“
Ich rollte also vor und nach meiner Hatha-Yoga-Praxis auf dem Boden herum. Da konnte ich vieles ausprobieren und das tat mir sehr gut!
Ich konnte es nicht genau benennen, aber diese „Mattenarbeit“, wie es in der Zirkusschule hieß, war Atem befreiend, stärkend, erdend und förderte meine Bewegungsintelligenz.
Durch Movement Based Training gehen Atmung und Bewegung eine natürliche Verbindung ein.
Heute, viele Jahre später, kann ich durch meine langjährige Yoga-Praxis und die Begegnung mit sehr guten Yoga- und Körpertherapie-LehrerInnen in all dem einen großen Zusammenhang erkennen.
Was bei diesem ganzheitlichen Movement Based Training auf erstaunliche Weise geschieht: Atmung und Bewegung gehen eine ursprüngliche, natürliche und ganz selbstverständliche Verbindung ein.
Und diese passt sich immer an die Geschwindigkeit, Haltung und Beziehung zum Raum an. Auf diese Weise entstehen Freiheit, Natürlichkeit, Kraft, Anmut und Resilienz in Bewegung und Haltung.
Die Atmung ist dafür die Basis, wie die Schwerkraft die Basis für die Bewegung im Raum ist.
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Was ist Movement Based Yoga?
Im Gegensatz zu linearen und Alignement orientierten Yoga Stilen, geht es bei Movement Based Yoga ganz zentral um das Wiederentdecken vergessener Bewegungsräume, um Exploration und um das Spüren, wie sich Bewegung und ruhige Haltung in MEINEM Körper IN DIESEM MOMENT anfühlen.
Es öffnet sich ein Wahrnehmungsraum der subtileren Empfindungen: Interozeption (wie fühle ich meine Organe) sowie Propriozeption (was erzählen mir meine Gelenke, Faszien und Muskeln und wie reagiert mein Nervensystem auf das, was ich gerade erlebe).
Mein Körper ist ICH, das SUBJEKT und nicht ER, das OBJEKT, das ich zum Projekt erkläre, mit dem es zu arbeiten, oder das es zu verbessern gilt.
Die Vorteile von Movement Based Yoga sind klar:
1) Ich gehe auf eine Entdeckungsreise: in die Beziehung zwischen meinem Körper und meinen Empfindungen sowie zu den komplexen Wechselwirkungen, die es da gibt.
2) Ich beginne, mich in meinem Körper zu Hause zu fühlen und übernehme echte Verantwortung dafür, wie ich mit meinem Körper umgehe.
3) Ich verbinde mich nach und nach mit meinen eigenen Bedürfnissen und Werten.
4) Das Kind in mir bekommt Raum zu spielen und sich auszudrücken.
5) Ich fühle mich lebendig und lasse mich von dem berühren, was um mich geschieht. Dabei erstarre ich nicht in Angst oder Ohnmacht, sondern werde handlungsfähiger.
6) Ich werde mutiger, lustvoller, liebevoller und entscheidungsfreudiger.
Wir brauchen freie Bewegung, um die ganzheitliche Wirkung von Yoga zu erfahren.
Pranayama, die yogische Wissenschaft, den Atem zu beobachten und bewusst zu steuern, ist die Grundausstattung dafür, dass die automatische Atmung sich in ihrer Blüte entfaltet. Damit sie nicht verkümmert durch Haltungsprobleme, Bewegungsmangel und Verlust der Beziehung zum eigenen Körper.
Die hohe Kunst ist jedoch das Erleben der Einheit aus Atem, Bewegung und dem Bewusstsein, dass du dein Körper bist.
Durch ihn hast du von Beginn an, schon als Baby, die Welt erforscht und erlebt.
Alles was du für EMBODIMENT in deiner Yoga-Praxis brauchst, ist schon seit Beginn deines Lebens über dein Nervensystem angelegt und bereit aktiviert zu werden.
Deshalb bin ich nach so vielen Jahren Erfahrung mit den unterschiedlichsten Yoga-Stilen davon überzeugt, dass wir freie und explorative Bewegung für die ganzheitliche Wirkung, die Yoga verspricht, unbedingt brauchen.
Hast du Lust, Movement Based Yoga mit Astrid auszuprobieren? Dann ist dieses Video für Einsteiger ideal. Einfach anklicken und mitmachen - wir wünschen dir viel Spaß dabei!
Video: Floor Rolling Movement für Einsteiger
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